Wahrheit im Wahlkampf!

Nicht wenige Sozialdemokraten hören fassungslos die Erklärungen der SPD-Spitze zu den drei misslungenen Landtagswahlen des Jahres 2017 (Saar, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen). Fassungslos, weil diese Kommentare die Aussichten für die Bundestagswahl im September belasten.

An der Saar war es der „Kramp-Karrenbauer-Effekt“ der CDU-Ministerpräsidentin, was die SPD-Spitzenkandidatin und erfolgreiche Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger herabsetzte.

In Schleswig-Holstein waren es nicht Fehlleistungen der Landespolitik, sondern der „stillose Umgang“ (Wolfgang Kubicki, FDP) des SPD-Ministerpräsidenten gegenüber seiner Ehefrau, mit der er, der Ministerpräsident, nie hätte auf Augenhöhe reden können, deshalb Trennung von der „Nur-Hausfrau“. Dem Verdikt Kubickis schloss sich die SPD-Führung schnell an.

Zur NRW-Niederlage der SPD schließlich werden zwei Erklärungen geboten.

Erstens, behauptete SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im TV, die CDU habe einen „Wutbürgerwahlkampf“ geführt. Gemeint war wohl: im Stile von Pegida oder AfD. Hannelore Kraft dagegen habe sich als Ministerpräsidentin durch einen „exzellenten Job“ (Barley) ausgezeichnet. *1) Auch SPD-Bundesministerin Manuela Schwesig argumentierte ähnlich und beschuldigte obendrein die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in NRW, einen „Rechtsruck“ vollzogen zu haben — eine besonders törichte Beleidigung, mit der man viele an sich sozialdemokratisch geneigte Wechselwähler nicht zurückgewinnen wird. *1)

Zweitens, als krönende Unwahrheit mutet uns die Berliner SPD-Führung zu, man habe sich dem Wunsch der „noblen“ (Thomas Oppermann, SPD Fraktionschef im Bundestag) NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gebeugt, die „eine klare Konzentration auf die landespolitischen Themen“ verlangt hätte. *2)

Frau Krafts „Noblesse“ habe darin bestanden, die Verantwortung für die Wahlniederlage in NRW vom Hoffnungsträger Martin Schulz fern zu halten. Martin Schulz war bekanntlich am 19. März 2017 mit 100 % der Delegiertenstimmen als Nachfolger Sigmar Gabriels zum SPD-Vorsitzenden gewählt worden. In der Hoffnung, er werde mit seinen hohen Zustimmungswerten als „neues Gesicht“ der SPD bei den Wahlen im Jahr 2017 seiner Partei zu Siegen verhelfen. Entsprechend selbstbewusst trat Martin Schulz auch auf.

Alle drei Niederlagen bei den Landtagswahlen hat nicht Martin Schulz zu vertreten — soviel ist richtig. Dass die Hoffnung auf den „Schulz-Effekt“ trog, spricht nicht gegen die Person des SPD-Chefs Martin Schulz, sondern vor allem gegen die SPD-Führungen an der Saar, an der See und an Rhein und Ruhr.

Besonders unverständlich, ja geradezu „komisch“ (Dirk Müller) ist die „SPD-Partei-Linie“ zur Erklärung der NRW-Verluste selbst für erfahrene Journalisten, wie die folgende Passage des Gesprächs zwischen SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel und Dirk Müller vom Deutschlandfunk zeigt: *2)

Schäfer-Gümbel: … Und natürlich ist es einfach so, dass wenn Sie eine große Kampagne im bevölkerungsreichsten Bundesland auf der einen Seite haben und parallel eine zweite Kampagne auf der Bundesebene zur thematischen Zuspitzung, dass das nur schwer übereinzubringen ist kommunikativ in vier Wochen, und das war die Bitte aus NRW. Am Ende hat sich das nicht ausgezahlt und wir werden damit ganz sicherlich auf der Bundesebene umgehen müssen …

Müller: Herr Schäfer-Gümbel, (es) ist ja nicht so, dass Sie keine Zeit hatten, sich darüber im Vorfeld schon Gedanken zu machen. Haben sich viele ja auch gewundert, warum ist die SPD nicht konkreter. Wir haben eben Martin Schulz gehört, der gesagt hat, ich habe verstanden.

Schäfer-Gümbel: Herr Müller, jetzt drehen wir uns im Kreis …

Müller: Verstehe ich trotzdem nicht, viele andere vielleicht auch nicht, dass die SPD mit ihrem wahren Programm im Grunde zunächst einmal das hinten anstellen muss und für Nordrhein-Westfalen nicht öffentlich bekannt geben darf. Ist doch komisch.

Schäfer-Gümbel: Das hat mit komisch überhaupt nichts zu tun. Noch einmal: Wir haben zwei unterschiedliche Kampagnen … “ *2)

Dass Schäfer-Gümbel die Fragen Müllers nicht „komisch“ fand, überhaupt etwas gereizt reagierte, lädt zu dem Versuch ein, das Geschehen in NRW und die „Noblesse“ der Ministerpräsidentin Kraft, das Desaster von Martin Schulz fern zu halten, etwas näher zu beleuchten.

Suchen wir den Schlüssel zur Motivforschung von Frau Kraft in den Umfragezahlen. *3)

In den Wochen der heißen Wahlkampfphase vom 5. März bis zum 28. April 2017 zeigten die Umfragen im Durchschnitt das folgende Stimmungsbild zwischen SPD und CDU: Die SPD lag in diesen Wochen deutlich mit durchschnittlich 36.7 % vor der CDU mit 28.7 %. Auch eine in diesem Zeitraum umschlagende Tendenz geben die Zahlen nicht her. *3)

Wer könnte nicht verstehen, dass sich Ministerpräsidentin Kraft als sichere Siegerin in diesem Wahlkampf sah? Und wer die langjährigen Spekulationen in der Presse über ihre Ambition auf das Amt der Bundeskanzlerin erinnert, der mag vermuten, dass Kraft den SPD-Chef Martin Schulz nicht an den Früchten des von ihr fest erwarteten Wahlsieges teilhaben lassen wollte.

Dass Krafts Wahlkampf über allein und ausschließlich „Landesthemen“ in der Niederlage des 14. Mai enden würde, war bis Ende April nicht aus den Umfragedaten ersichtlich. *3)

Dem SPD-Chef Martin Schulz ausgerechnet im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW, wo sich nicht zuletzt die Bundestagswahl im September 2017 entscheidet, keine eigenständige programmatische Rolle zuzubilligen, hat also im Lichte der dargelegten Umfragedaten wenig mit Frau Krafts „Noblesse“ zu tun, Schadensrisiken vom SPD-Chef Schulz abzuwenden.

Und auch wenig mit landespolitischer Sachlogik. Es sei denn, man belegt, dass wichtige Sachfragen und die politischen Angebote der SPD sich für die 13 Mio. Wahlberechtigten in NRW wesentlich von denen unterscheiden, die aus SPD-Sicht 60 Mio. Wahlberechtigte in Deutschand bewegen. Möglich ist auch, dass die NRW-Ministerpräsidentin einen “Hannelore Kraft-Bonus“ und einen “SPD-Berlin-Martin Schulz-Malus“ unterstellte.

Frau Krafts Wahlstrategie beruhte vielleicht eher auf „Machtlogik“ im Blick auf das Ziel, Bundeskanzlerin zu werden. Hat die selbst stilisierte „Kümmerin“ sich vielleicht zu sehr um diese politische Perspektive „gekümmert“? Und weniger um die Sorgen der Menschen in NRW?

Wenn solche Spekulationen in der Bevölkerung geteilt werden, sollte die SPD-Führung den Wählerinnen und Wählern keine Erklärungen zumuten, die selbst bekannte Journalisten nur noch „komisch“ (Dirk Müller, DLF) finden können.

Und keine Wählerbeschimpfung mit Kategorien wie „Wutbürger“ und „Rechtsruck“, weil der „noblen“ Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die einen „exzellenten Job“ gemacht habe, das Vertrauen entzogen wurde.

Von der SPD-Führung ist jetzt zu fordern, dass sie die sozialdemokratische Wettbewerbsposition für die Bundestagswahl weder mit „Komik“ noch mit Beleidigungen wie „Wutbürger“ und „Rechtsruck“ belastet.

Sondern baldigst die drei vergangenen Landtagswahlen nach den Grundsätzen der Bilanz-Klarheit und Bilanz-Wahrheit analysiert.

*1) Wahl bei ARD und ZDF. So stimmt also der „Wutbürger“ ab. Zuerst herrscht in den Fernsehstudios helle Aufregung über das Ergebnis der NRW-Wahl: Wie konnte das passieren? Die Antwort gibt es bei Anne Will: Die SPD hat nichts falsch gemacht. Wären da bloß nicht diese Wähler! 15.05.2017, von MICHAEL HANFELD; faz.net. (Hervorhebung RS).

*2) Die SPD nach der NRW-Wahl. „Wir wissen, wie man mit schweren Niederlagen umgeht“. Die SPD habe eine krachende Niederlage eingesteckt, die alle traurig mache, sagte der SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel im DLF über den Ausgang der NRW-Wahl. Man müsse sehr viel konkreter und zugespitzter werden – unter anderem bei Themen wie Rente und Bildung. Kanzlerkandidat Martin Schulz habe dazu bereits Vorschläge gemacht und bleibe ganz sicher. Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Dirk Müller.15.05.2017; http://www.deutschlandfunk.de/. (Hervorhebung RS).

*3) http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/nrw.htm. Eigene Berechnung des Durchschnitts aus sieben Umfragen vom 5. März bis 28. April 2017 für die CDU und die SPD (Nach den Zahlen des o.a. Zeitraums der Umfrageinstitute: Infratest-dimap, Forsa, YouGov, INSA).

Ab Anfang Mai begann der Umschwung: weg von der Zustimmung für die SPD, hin zur CDU. Obwohl die großen DGB-Kundgebungen mit Frau Kraft, mit Bundesministerin Nahles (SPD) und weiterer Rot-Grün-Prominenz gerade in NRW zum 1. Mai aus Sicht von Frau Kraft noch einmal Schub für die SPD hätten bringen können. Gewann die Wählerschaft den Eindruck von „Bonzokratie“? Auch hier könnten Analysen ansetzen.