Was ist relativ?

Nur Nicht-Bayern werden sich über den Grundsatz wundern, der offenbar über viele Jahre im Bayerischen Landtag von nicht wenigen Abgeordneten gepflegt wurde: Blut ist dicker als Wasser.

Und natürlich predigten diese Volksvertreter Wasser und tranken Bier, vielleicht auch Wein, wenn´s keiner sah. Da kommt die Hoffnung auf: Im Herbst wird ein Augiasstall ausgemistet, Hoffnung auf Christian Ude als neuen bayerischen Ministerpräsidenten.

Doch dann springen selbst bei unlustigem, flüchtigem Hinsehen ernüchternde Informationen ins Auge. Seit dem Jahr 2000 ist den bayerischen MdLs bei der steuerfinanzierten Beschäftigung von Mitarbeitern die Einstellungsvoraussetzung „Blut ist dicker als Wasser“ verboten.

Natürlich gab es für solche Revolution in Bayern eine Übergangslösung. Dabei kopierte die CSU-Regierung vom ehrwürdigen Grundsatz der „permanenten Revolution“ Leo Trotzkis die Idee der Permanenz. Und so entstand eine spezifisch bayerische „permanente Übergangslösung“.

Machen wir´s kurz und etwas oberflächlich mit den Zahlen. Den Medien zufolge nutzten nach derzeitigem Stand der Information und dem bisher berücksichtigten Verwandtschaftsgrad 79 Abgeordnete wenigstens über einige Jahre den permanenten Übergang. 56 von der CSU, 21 von der SPD, 1 Grüner, 1 Fraktionsloser, kein Liberaler.

Das sieht nun für die Alternative der SPD unter Christian Ude nicht ganz blütenweiß aus, zumal auch der Name einer verehrten Sozialdemokratin fällt.

Versuchen wir das Bild zu verbessern und gehen wir zur relativen Betrachtung über. Um der permanent regierenden CSU eins auszuwischen, die ja vor 5 Jahren kräftig an Mandaten verlor, sei die heutige Zusammensetzung des Landtags Basis des Vergleichs. 187 Abgeordnete sind es insgesamt.

79 MdLs von 187 hielten zunächst an ihren Lieben fest. Also an ihren steuerfinanzierten „eng verwandten“ MitarbeiterInnen – sicher aus christlich-sozialen Gründen: Das sind 42 %. Nun die Gepflogenheiten bei den beiden Volksparteien. CSU: 56 MdLs von 92 CSU-Fraktionsmitgliedern, sind 61 %. SPD: 21 MdLs von 39 Mitgliedern der SPD-Fraktion, sind 54 %.

Was betrübt: Die SPD liegt zwar 7 Prozentpunkte unter der CSU, aber 12 Prozentpunkte über dem Durchschnitt des Landtags. Die SPD ist zwar „sauberer“ als die CSU, aber selbst gegenüber dem Durchschnitt des bayerischen Landtags not too clean, leider!

Die „Relativitätstheorie“ hilft also nicht wirklich. Aber „Lachen hilft“ habe ich gerade von Willy Brandt gelernt. *1) Der große Sozialdemokrat hat mit diesem Grundsatz eine Weisheit und Lebenshilfe hinterlassen, die weit über das Politische hinausgeht.

Zur „Relativitätstheorie“ (von Albert Einstein!) zitierte Willy Brandt seinen Freund Bruno Kreisky, der damit eine Frage des sowjetischen Ministerpräsidenten Alexej Kossygin beantwortet hatte: „Sie müssen sich vorstellen, dass drei Haare auf dem Kopf wenig, drei Haare in der Suppe aber viel sind.“ Oder, um nichts gegen den schweren und anspruchsvollen Beruf der Köche zu sagen, diesmal von Willy Brandt selbst: „Was ist relativ? Fünf Flaschen im Weinkeller sind wenig. Fünf Flaschen in der Bundesregierung sind viel.“

Bei Willy Brandt darf man sicher sein: Auch seine heitere Sicht auf die „Relativitätstheorie“ hat für die Sozialdemokratie noch heute einen sehr ernsten Aspekt. 21 Sozialdemokraten sind wenig, aber 21 bayerische SPD-MdLs in der „Abgeordnetenaffaire“ sind viel.

*1) Willy Brandt, Lachen hilft, München, Zürich, 3. Auflage 2001, s. S. 134, 136. Frau Dr. Brigitte Seebacher-Brandt kommt mit dieser Herausgeberschaft größtes Verdienst zu. Ende der 1980er Jahre hatte ich zum ersten Male Gelegenheit, das Willy-Brandt-Archiv in der Friedrich-Ebert-Stiftung zu besichtigen. Von der ausgezeichneten Frau Gertrud Lenz geleitet, wurde den Besuchern klar, dass von dieser Archivarbeit noch Bedeutendes zu erwarten war.