Was wird in Medien geraucht?

Um Juso-Chef Kevin Kühnert schien es etwas still zu werden — bis zum Tag der Arbeit, dem 1. Mai 2019. Als er dem deutschen Qualitätsblatt DIE ZEIT erklärte, was für ihn „Sozialismus“ heißt. *1)

Nach dem Medien- und Empörungsecho auf Kühnerts Ausführungen zu urteilen, scheint er dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann die Schau des 1. Mai gestohlen zu haben.

Das wäre sehr bedauerlich, weil der DGB-Chef in seiner Rede zum 1. Mai in Leipzig mit hohem Sachverstand noch immer bestehende lohn-, sozial- und europapolitische Defizite aufgezeigt hat: *2)

  • Zwar hätten die DGB-Gewerkschaften die Lohnlücke zwischen West- und Ostdeutschland weitgehend schließen können, dennoch sei im Osten die 35-Stunden-Woche in vielen Betrieben noch immer nicht erreicht.
  • Bedenklich sei auch, dass sich immer wieder auch bedeutende Unternehmen den zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträgen entziehen („Tarifflucht“). Dem müsse durch verbesserte „Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen“ und durch Vorschriften so begegnet werden, dass öffentliche Aufträge, Fördergelder und Investitionshilfen nur tarifgebundenen Unternehmen zukommen.
  • Die Grundrente (sogenannte “Respektrente“) oberhalb des Existenzminimums der Sozialen Grundsicherung sei als Beitrag zur Verhinderung von Altersarmut nach einem langen Arbeitsleben notwendig und zu begrüßen.
  • Regionalpolitisch hob der DGB-Chef den „Kohlekompromiss“ zum Erhalt regionaler Fördergebiete hervor und plädierte für einen „Zukunftspakt Ostdeutschland“. Gerade zugunsten dortiger ländlicher Regionen, wo Krankenhäuser, Kitas, Schulen, Altenheime fehlen, weil sich „über Jahrzehnte der Staat aus der Fläche zurückgezogen“ habe.
  • Europapolitisch sei zu gewährleisten, dass „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ in der EU nicht missbraucht werde, wenn ArbeitnehmerInnen in ein anderes EU-Land „entsandt“ und um Lohn sowie Sozialversicherungsschutz geprellt würden. Dieser Missbrauch sei vor allem in der Transport-, Logistik- und Paketbranche zu beobachten.
  • Abschließend rief der DGB-Chef zur Unterstützung der Europäischen Bürgerinitiative „Housing for All“ auf, damit auch die EU mit Programmen für Investitionen in öffentliche Infrastruktur zu bezahlbaren Wohnungen beitrage.
  • Der europapolitische Appell von Rainer Hoffmann hatte besonderes Gewicht. Denn der DGB-Chef erinnerte am Anfang seiner Rede daran, dass die Wiedervereinigung Deutschlands und Europas 1989 damit begann, dass Ungarn und die Tschechoslowakei ihre Grenzen öffneten, um Bürgerinnen und Bürgern der DDR die Ausreise in den Westen zu ermöglichen: „Unsere Wiedervereinigung haben wir auch Europa zu verdanken!“
  • Nationalistischen Demagogen („rechter Mob, rechte Mischpoke“ so der DGB-Chef) sei deshalb bei der EU-Wahl Ende Mai von demokratisch Gesinnten eine deutliche Abfuhr zu erteilen.

Staatsbürger mögen sich fragen, warum sogar unsere Qualitätsmedien ein solches Gewese um das Sozialismus-Interview des Juso-Chefs Kevin Kühnert machen, der mit vor allem zwei Thesen provozierte *1):

  • Für eine „Kollektivierung von Großunternehmen wie z.B. BMW auf demokratischem Wege“.
  • Gegen private Wohnungsunternehmen, „da es kein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten“.

„Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein“, kommentierte dies über Twitter Johannes Kahrs, MdB, der einflussreiche und angesehene Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss.

Die Frage von Kahrs könnte gleich an die Medien weitergeleitet werden:

Ist es zum 1. Mai angemessen, sich an den Juso-Bürgerschreck-Methoden eines Kevin Kühnert abzuarbeiten? Statt sich mit der bedeutenden Rede des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann in Leipzig auseinanderzusetzen?

Was habt ihr geraucht?

*1) Kevin Kühnert. Was heißt Sozialismus für Sie, Kevin Kühnert? Interview: Jochen Bittner und Tina Hildebrandt. 1. Mai 2019, 15:32 Uhr; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/kevin-kuehnert-spd-jugendorganisation-sozialismus

*2) Reiner Hoffmann. Vorsitzender des Geschäftsführenden Bundesvorstands des DGB. Rede zum 1. Mai 2019. Leipzig; https://www.dgb.de/presse.