Welcher Preis für Rot-Grün?

Die Bundeskanzlerin stützt sich auf Ethik-Rat und Reaktorsicherheitskommission, also auf außerparlamentarischen, zivilgesellschaftlichen Sachverstand. Mobilisierungspolitik mit der Absicht: Thema weg vom Tisch. Und das so schnell wie möglich.

Vollständig entgegengesetztes Interesse bei den Grünen! Ein Schritt in die richtige Richtung, aber Hintertüren bleiben offen … so Kommentare von Jürgen Trittin, MdB, zu den Vorstellungen der Regierung. Die atompolitische Sprecherin der Grünen, Frau Kotting-Uhl, MdB, war heute mittag im Deutschlandradio zu hören. Wenn die Regierung es ernst meine, müsse sie bis 2017 raus aus der Atomwirtschaft. Vor einer Stellungnahme zu einem Ausstiegsgesetz müsse ein Parteitag der Grünen konsultiert werden. Taktisch interessant: zur Eile treiben und zugleich die Bremse installieren.

Aber höre ich recht? Die Grünen, die Zeter und Mordio schrien, weil sich die Kanzlerin nicht auf Konsultation des parlamentarischen (grünen!) Sachverstandes beschränkte, wollen sich nun von ihrer linken Laien-Basis mandatieren lassen? Rückkehr zum altlinken imperativen Mandat für ihre MdBs beim Gesetz für den Atomausstieg? Da bevorzuge ich die von der Kanzlerin erbetenen Voten der Kommissionen für Ethik und Reaktorsicherheit zur Information von Regierung und Öffentlichkeit!

Eins muss für die Grünen gewonnen werden – auf jeden Fall Zeit. Die wollten sie sich einst für den Rot-Grünen AKW-Ausstieg ja auch mal lassen, bis 2022. Aber jetzt muss es schneller gehen. Damit der Konflikt weiter kocht. Vor allem muss die Fukushima-Erregung bis zur nächsten Bundestagswahl 2013 transportiert werden – egal wie. „Es sind noch ziemlich viele Fragen sehr, sehr offen“ (Claudia Roth). Also, alles offen und kochend halten, bis zur Wahl. Damit sich Grün-Rot wiederholen kann, wie im Ländle!

Und was hört man von der SPD? Kritik an der AKW-Reservekapazität, die Christian Lindner, FDP, für eine eventuelle Winter-Notlage bis 2014 plausibel erläutert. Also ausgerechnet von der SPD Kritik an einer Empfehlung der Bundesnetzagentur, die vom Sozialdemokraten Matthias Kurth geleitet wird. Herr Professor Kurth ist einer der sachkundigsten Juristen, erfahrensten Politiker und international anerkanntesten Regulierungsexperten des Landes und der Sozialdemokratie. Er wird bei seiner Empfehlung an die Stromausfälle im Winter 2005 gedacht haben; bis zu einer Viertel Million Menschen von Westfalen bis Niedersachsen waren damals betroffen.

Wer schnell vergisst oder auf solchen Freund nicht hört, der hört vielleicht auf die Kollegen vom Bundestags-Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.

Die warnen im Vorwort ihres Berichts „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften“ vom 7. April 2011 vor den Folgen eines Ausfalls der Stromversorgung: „Aufgrund der großen Abhängigkeit nahezu aller Kritischen* Infrastrukturen von der Stromversorgung, kommt dem Szenario eines großflächigen und längerfristigen Stromausfalls mit der Folge massiver Versorgungsstörungen, wirtschaftlicher Schäden sowie Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit eine zentrale Bedeutung zu.“ (* z.B. Trinkwasser, Kommunikations- und IT-Systeme, Verkehr, Gesundheitsversorgung, Rettungs- und Notfallwesen, RS)

Immerhin, wir dürfen in der Presse lesen, Sigmar Gabriel signalisierte Bereitschaft zu Gesprächen über einen Atomausstieg. „Signalisierte Bereitschaft“! Wie kann bloß der Eindruck verhindert werden, die SPD kommentiere nur noch die Meinungsführerschaft der Grünen? Dominiere nicht selbst die Politik der Opposition, sondern „deute an, signalisiere Bereitschaft zu Gesprächen…“?

Aus der parteipolitisch allerdings laienhaften Sicht des Bürgers haben die Sozialdemokraten gegenüber den Grünen einen bedeutenden Vorzug. Während die Bundestagsfraktion der Grünen keinen glaubhaften Kanzlerkandidaten vorweisen kann, hat die SPD mindestens ein kanzlerfähiges politisches Schwergewicht.

Die SPD-Führung wird ihre Gründe haben, warum sie sich der strategischen Erfahrung verschließt, die Willy Brandt zur Kanzlerschaft führte. Mit der Persönlichkeit an der Spitze zockt man nicht.