Wem Satire missfällt.

 

Satire kann machtlose Individualisten gegen Bevormundung durch mächtige Groß-Organisationen und Ideologen unterstützen.

1. Großorganisationen wollen öffentliche Meinungsführerschaft.

Verbände der Wirtschaft, Parteien, Massenmedien, organisierte Religionen: Diese “Eliten“ bestimmen über Gremien in Politik, in öffentlich-rechtlichen Medien und über vielfältige Kanäle und Mechanismen, was gesagt werden darf, was “politisch korrekt“ ist. Sie versuchen, Maßstäbe und Vorgaben durchzusetzen, möglichst moralisch verbrämt, um die Freiheit zu begrenzen, vom herrschenden “Konsens“ abweichende Meinungen zu äußern.

So fördern “Eliten“ und “Mainstream-Medien“ einen tonangebenden Konformismus. Einen Konformismus, durch den “in den relevanten Themen des Alltags die Perspektive der Machthabenden, der Entscheider dominant ist“. *1) Die “aufklärerische Funktion“ öffentlicher Debatte kann dadurch stark eingeschränkt werden.

Um öffentliche Meinungsführerschaft auszuüben, haben die mächtigen Gruppen — Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien — nicht nur die Möglichkeit, zum Beispiel durch Werbung private Medien zu beeinflussen. Auch in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland sind sie wirksam vertreten.*2)

Natürlich wird in diesem Beitrag nicht propagiert, dass Groß-Organisationen sich der Satire oder der Karikatur widmen, wenn es ihren Zwecken nicht dient. Das wäre zu weltfremd.

2. Unbequeme Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Hier wird nur gefragt, warum diese Organisationen ein eher distanziertes Verhältnis zur Satire oder zu satirischer Karikatur haben könnten.

2.1. Ansatz von Satire und Karikatur.

Bei der Suche nach einer Antwort ist der Ansatz von Satire entscheidend: Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Organisationen. So kann Satire und Karikatur durch Witz und Spott zum Instrument werden, das die Meinung machtloser Individualisten gegen den öffentlichen Einfluss mächtiger Gruppen/Gemeinschaften und Organisationen unterstützt. Dadurch kann die Öffentlichkeit auf Heuchelei, auf Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit, solcher Gruppen aufmerksam werden.

Satire und Karikatur bietet sich gerade bei solchen Organisationen an, die einen festen Platz auf dem “moral high ground“ beanspruchen. Und das sind gewiss die Religionsgemeinschaften, die überdies bekannt sind für politische Forderungen. Dabei scheinen sie nicht selten eine Mahnung des großen Sozialdemokraten Hans-Ulrich Klose zu vergessen: „Wenn sich die Kirche zu sehr in gesellschaftliche Fragen einmischt, wird sie zur Partei. Und dann sage ich: Ich bin schon in einer Partei, ich brauche keine zweite.“ *3) Eine Aussage Kloses, die weithin als Drohung mit Austritt aus der Kirche verstanden wurde.

2.2. Macht gegen Satire: die Nationalsozialisten Hitlers.

Nach brutalster Gewalt und angedrohtem Verbot kapitulierten 1933 einige Künstler und Autoren des Satireblatts “Simplicissimus“, um überleben zu können. Andere flohen aus Nazi-Deutschland. Das Nazi-Regime hatte gefordert: „Jede Verächtlichmachung oder Verhöhnung sowie Karikatur der mit der heutigen Bewegung in irgendwelchem Zusammenhang stehenden Faktoren wird künftig auf das strengste vermieden werden.“ *4) 

2.3. Religion gegen Satire.

Beschränken wir uns auf die Positionen zweier herausragender Oberhäupter religiöser Gemeinschaften:

  • Papst Franziskus zum Anschlag gegen das Pariser Satiremagazin “Charlie Hebdo“ *5): Satire darf nach den Worten von Papst Franziskus nicht alles: „Es gibt eine Grenze, jede Religion hat Würde. Jede Religion, die das menschliche Leben, die menschliche Person achtet, kann ich nicht einfach zum Gespött machen. Man darf nicht provozieren, man darf den Glauben anderer nicht beleidigen“. Gleichzeitig deutete Franziskus ein gewisses Verständnis dafür an, dass Menschen auf Beleidigungen ihrer persönlichen und religiösen Identität heftig reagieren …
  • Ahmad Muhammad al Tayyeb, Vorsitzender des sunnitischen “Muslim Council of Elders“ *6): Tayyeb verurteilt die „jüngste systematische Kampagne gegen den Islam, die Beleidigung des heiligen Propheten unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.“  Deshalb habe der Ältestenrat ein internationales Team von Rechtsexperten beauftragt, rechtliche Schritte nicht nur gegen “Charlie Hebdo“ einzuleiten, sondern „gegen alle, die den Islam beleidigen“. (Vgl. *7) zu den Aussichten vor Gerichten in Frankreich zumindest).

2.4. Satire gegen Religion.

Zwei seit vielen Jahren offensichtliche und skandalös vertuschte Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit wurden durch Satire bloßgestellt:

  • Bis in die letzten Tage hinein sorgen Kindesmissbrauch und seine Vertuschung durch höchste Amtsträger der katholischen Kirche für Schlagzeilen. Wer hat daher das Recht, von Beleidigung zu reden, wenn in Charlie Hebdo diese Verbrechen pädo-krimineller Priester karikiert wurden: “Lasset die Kindlein zu mir kommen“ — „Laissez venir à moi les petits enfants“. *7)
  • Die Friedensbotschaft der Weltreligionen wird immer wieder betont, insbesondere bei den “Friedenstreffen der Religionen“ auf Einladung der Päpste Johannes Paul II. (1986), Benedikt XVI. (2011) und Franziskus (2016).*8). Wer hat das Recht, von Beleidigung zu reden, wenn angesichts zahlloser Gewaltakte von Muslimen solche Friedensbotschaften des Islam in Charlie Hebdo karikiert werden — mit einer Bombe im Turban des Propheten Mohammed?

3. Notwendigkeit von Karikatur und Satire.

Meinungsfreiheit wie Freiheit der Kunst durch Satire und eben auch durch die Kunstform der Karikatur dürfen nicht dem Anspruch des moral high ground unterworfen werden. Vor allem nicht in Fällen, in denen die moralische Selbstgefälligkeit gegenüber der Wirklichkeit als Skandal zu benennen ist.

Auch wenn Gewalt durch Oberhäupter von Religionen verurteilt wird, die Drohung mit Gewalt und die damit einhergehende Einschüchterung durch Islamisten in der Gesellschaft, in Schulen und Universitäten ist zu einer Gefahr für die Freiheit von Wissenschaft, Bildung und Kunst geworden.

Gut 100 an Frankreichs Universitäten tätige Wissenschaftler*innen haben vor der Gefahr gewarnt, den Islamismus als Ursache von einschüchternder Drohung mit Gewalt zu verleugnen. *9)

Ethnische Identität, Anti-Rassismus und Anti-Kolonialismus seien zu einer Ideologie entwickelt worden, die sich gegen die “Weißen“ und gegen Frankreich richte. Eine nicht selten gewalttätige Militanz wende sich gegen alle, die es noch wagten, gegen die antiwestliche Ideologie und die multikulturellen Moralpredigten zu argumentieren. Dies zeige zum Beispiel die Zurückhaltung der meisten Universitäten und der Verbände universitärer Fachwissenschaften, gerade den Islamismus als verantwortlich für den Mord an dem Lehrer Samuel Paty zu benennen. Statt dessen redeten deren Pressemitteilungen nur verschwommen von “Obskurantismus“ und “Fanatismus“. Dieser intellektuelle Konformismus, die Angst und die politische Korrektheit stellten eine ernste Bedrohung für die Universitäten Frankreichs dar.

Ähnliche Befürchtungen mehren sich auch in Deutschland. Wenn Konformismus und politische Korrektheit die öffentliche “Meinung“ und die Mainstream-Medien beherrschen, dann wird es höchste Zeit für die Provokation durch Satire und Karikatur.

Ohne Rücksicht auf jene Einflussreichen und Mächtigen, denen Satire missfällt!

*1) Journalismus-Studie. „Die überregionalen Medien haben die Bevölkerung vergessen“. Während der Flüchtlingskrise sei zu unkritisch über die Zuwanderung berichtet worden — das ist das Ergebnis einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Die Medien hätten sich mit den Ansichten der politischen Eliten gemein gemacht, sagte der Leiter der Studie, Michael Haller, im Deutschlandfunk. Michael Haller im Gespräch mit Michael Borgers. 20.07.2017; http://www.deutschlandfunk.de/journalismus-studie-die-ueberregionalen-medien-haben-die.2907.de.html? Vgl. dazu die Befunde einer Untersuchung der Presse durch die Hamburg Media School und die Universität Leipzig unter Leitung des Medienwissenschaftlers Professor Michael Haller. Methodenbericht zur Studie „Die ‚Flüchtlingskrise‘ in den Medien“, Arbeitsheft 93. Erschienen am 21. Juli 2017. Autor: Michael Haller; https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien/studien-2017/die-fluechtlingskrise-in-den-medien/.

*2) Der Rundfunkrat ist „die Vertretung der Allgemeinheit und das höchste, mit der Programmkontrolle beauftragte Aufsichtsgremium, das allein, auf Vorschlag des Verwaltungsrats oder in gemeinsamer Sitzung mit diesem die personelle Leitung der Anstalt, Intendant oder Direktorium, bestimmt … Generell vorgesehen sind Rundfunkratsmitglieder der beiden großen Konfessionen, der jüdischen Kultusgemeinden, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Parlaments- oder in jüngerer Zeit eher Parteienvertreter sowie Regierungsvertreter.“ Siehe: Rundfunkrat, https://www.ard.de/home/Rundfunkrat/456538/index.html

*3) SPD-KLOSE ZUM AFGHANISTAN-STREIT. Frau Käßmann sollte Gottes Wort verkünden. SPD-Aussenexperte stellt sich gegen Parteichef Gabriel. Artikel von: JAN MEYER UND PAUL RONZHEIMER, veröffentlicht am 14.01.2010; bild.de

*4) Wikipedia. Artikel Simplicissimus; https://de.wikipedia.org/wiki/Simplicissimus

*5) Papst Franziskus: Meinungsfreiheit hat Grenzen. 15. Jänner 2015 in Aktuelles; http://www.kath.net/news/49026

*6) DER PAPST UND DIE SATIRE. Mit der Faust zuschlagen. VON MATTHIAS RÜB, ROM. 29.10.2020; faz.net. Rüb schreibt: „ … im Zusammenhang mit dem Streit um die Mohammed-Karikaturen stellen Franziskus und Tayyeb das Grundrecht der Meinungsfreiheit unter das Gebot der interreligiösen Brüderlichkeit.“

*7) «Charlie Hebdo» n’incite pas à la haine contre les Chrétiens. MEDIAS. La justice a débouté l’Agrif qui avait attaqué l’hebdo satirique après son numéro «Spécial Pape», paru en septembre 2008. Avec agence. Publié le 02/06/09; https://www.20minutes.fr/medias/329803-20090602-charlie-hebdo-incite-a-haine-contre-chretiens. Siehe auch Wikipedia. Artikel Charlie Hebdo: 2010 gewann das Blatt einen Rechtsstreit gegen die ultrakonservative, katholische Organisation „Allgemeine Allianz gegen Rassismus und für Respekt der französischen und christlichen Identität“ (Agrif). Diese hatte geklagt, weil in einem Artikel zum Papstbesuch in Frankreich 2008 das Jesuswort „Lasset die Kinder zu mir kommen“ in einen pädophilen Kontext gerückt worden sei. Die katholische Kirche führte insgesamt bereits 14 Prozesse gegen die Zeitschrift, die sie alle verlor“. (Hervorhebung RS).

*8) Papst zu Charlie-Hebdo-Karikaturen: Satire darf nicht alles. Manila, 15.1.15 (kath.ch); © Katholisches Medienzentrum, 15.01.2015; https://www.kath.ch/newsd/papst-zu-charlie-hebdo-karikaturen-satire-darf-nicht-alles/

*9) Une centaine d’universitaires alertent : « Sur l’islamisme, ce qui nous menace, c’est la persistance du déni ». TRIBUNE. Collectif. Dans une tribune au « Monde », des professeurs et des chercheurs de diverses sensibilités dénoncent les frilosités de nombre de leurs pairs sur l’islamisme et les « idéologies indigénistes, racialistes et décoloniales », soutenant les propos de Jean-Michel Blanquer sur « l’islamo-gauchisme ». Publié le 31 octobre 2020; https://www.lemonde.fr/idees/article/2020/10/31/une-centaine-d-universitaires-alertent-sur-l-islamisme-ce-qui-nous-menace-c-est-la-persistance-du-deni_6057989_3232.html.