Wenn ich mal auspacke …

 

Dass die christdemokratische Bundeskanzlerin (Pastorentochter!) Drohungen in robuste Sprache, fast in Gangster-Jargon kleidet, mag Zyniker erheitern.

Merkel hat ihre Drohung des “Auspackens“ an die SPD-Minister und SPD-Ministerpräsidenten gerichtet, die Kritik an zu schleppender Beschaffung von Impfstoff übten. *1) Auch der Fragenkatalog zum Thema mangelnden Impfstoffs, den Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz vorlegte, erhielt statt einer Antwort die Drohung Merkels, „wenn ich mal auspacke“.

Die SPD sollte sich von der leeren Drohung des “Auspackens“ nicht beeindruckt zeigen, gerade weil dies derzeit andere Christpolitiker ermutigt, ihrerseits zu “singen“ oder “auszupacken“.

1. Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), EX-CDU-Vorsitzende und Bundesministerin der Verteidigung.

AKK packte interessante CDU-Interna aus: *2)

  • Mit Merkel habe es Anfang 2019 einen Konflikt über das von AKK als CDU-Vorsitzende durchgeführte “Werkstattgespräch“ zur Flüchtlingspolitik gegeben, obwohl dies die Spannungen zwischen CDU und CSU überwunden habe.
  • Merkel habe auf diese Leistung der CDU-Vorsitzenden AKK mit der Feststellung reagiert, AKK sei “nicht geeignet für die Kanzlerkandidatur“. *2) Zwar beurteile AKK solche Meldungen skeptisch, aber ihr Verdienst, die migrationspolitische Spaltung von CDU und CSU überwunden zu haben, wurde vom neuen CDU-Chef Armin Laschet ausdrücklich gewürdigt.
  • Im Frühjahr 2019 hätten CDU-Granden erörtert, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den vorzeitigen Amtsverzicht nahe zu legen. AKK habe dies jedoch nicht gewollt. Das könnten die Chefs von CDU und CSU, Laschet und Söder, jetzt anders beurteilen.

2. Gesundheitsminister Jens Spahn hat ausgepackt.

Eine von der Parteitagsregie einberufenen Fragerunde an die Kandidaten für den Parteivorsitz missbrauchte Spahn, um scheinbar Armin Laschet zu helfen — in Wirklichkeit vielleicht, um zu sagen, Laschet gibt es nicht ohne Spahn … Die Delegierten des CDU-Online-Parteitags gaben Spahn für diese machtversessene Dreistigkeit die geringste Stimmenzahl bei der Wahl der fünf Stellvertretenden CDU-Vorsitzenden.

3. Sodann packte Friedrich Merz aus.

Er habe dem neuen CDU-Chef Armin Laschet angeboten, Wirtschaftsminister in der derzeitigen GroKo-Regierung zu werden. Mit seiner vorgeschobenen Verärgerung über Spahns angebliche Laschet-Propaganda könnte Friedrich Merz kalkulieren, dass CDU-Chef Laschet bereit ist, Merz politisch zu kompensieren:

  • Der loyale und kompetente Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) würde zur EU abgeordnet.
  • Jens Spahn würde es aus dem politisch unergiebigen Gesundheitsministerium ins Bundeskanzleramt drängen. Unter dem Vorwand, als Wegbereiter für Laschets kommende Kanzlerschaft zu dienen.
  • Der loyale und kompetente Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) könnte dann als Spahns Nachfolger das Gesundheitsministerium führen.
  • Die SPD wäre an derartiger Kabinettsumbildung durchaus interessiert und würde zustimmen, weil sie bei einem betont marktliberalen Wirtschaftsminister Merz ihr sozialpolitisches Profil in den Wahlkämpfen 2021 besser schärfen könnte. Und um bereits im Frühjahr 2022 bei der Landtagswahl in NRW die Chance zu nutzen, die Regierungsmacht in ihrem traditionellen Stammland wieder zu gewinnen.

Diese mutmaßliche Kalkulation des Friedrich Merz bezieht ihr politisches Gewicht aus seiner “Hausmacht“, die er schon rücksichtslos gegen die als CDU-Chefin gescheiterte AKK eingesetzt hatte. Merz` Hausmacht in der CDU und der CSU beruht auf seiner Unterstützung durch die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT, mit 25 Tsd. Mitgliedern größter parteipolitischer Wirtschaftsverband Deutschlands), die Junge Union und die Werteunion, die für den konservativ-liberalen Markenkern von CDU und CSU steht. Außerdem wird Merz eine große Anhängerschaft in Ostdeutschland zugeschrieben.

Merkel, die offenbar bis zur Bundestagswahl regieren will, hat den Vorschlag von Merz und eine Kabinettsumbildung bereits abgelehnt. In der Union von CDU/CSU brodelt es.

4. SPD: Jetzt auspacken ist eine Frage der Ehre.

Die SPD als Adressat sollte sich die Drohung Merkels “auszupacken“ verbitten. Der Machtkampf mit Merkel und Laschet, dem erklärten Garanten für Kontinuität der Merkel-Politik, hat längst begonnen.

Für Sozialdemokraten ist es eine Frage der Ehre, Merkels vulgär formulierte Drohung “Wenn ich mal auspacke“ entgegen zu treten:

  • Merkel verdankte schon ihre erste Kanzlerschaft der SPD, die ihr drei “Große Koalitionen“ (2005-2009, 2013-2017 und ab 2018) ermöglichte.
  • Insbesondere Anfang 2018 hat sich die SPD aus staatspolitischer Verantwortung von Bundespräsident Steinmeier drängen lassen, mit Merkel nach der gescheiterten Jamaika-Koalitionsverhandlung zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP die dritte GroKo einzugehen.
  • Merkel hatte erkannt, dass die FDP sich nach der Wahl 2017 in der Bundesregierung dadurch profilieren wollte, dass sie das Ende der langen Kanzlerschaft Merkels einzuleiten plante. „Die wollen mich weghaben”, so klagte Merkel damals gegenüber Horst Seehofer (CSU). *3) Aus dieser Bredouille wurde sie von der SPD gerettet.

Warum sollte die SPD, gegen die Merkel nun mit „Auspacken“ droht, deren Kanzlerschaft bis zur Bundestagswahl im September 2021 hinnehmen? Eine Kanzler-Ära Merkels, die der SPD einen Absturz von 35 % (2005) auf derzeit 15 % (Umfragen) einbrachte. Jetzt hat die SPD bereits mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz einen hochangesehenen Kanzlerkandidaten benannt. Was hat die SPD noch zu verlieren?

Die SPD sollte Merkels Drohung als leeren Bluff entlarven, von der Bundeskanzlerin öffentliche Entschuldigung einfordern oder die GroKo verlassen — als Frage der Ehre!

*1) Julia Hanigk. Angela Merkel nimmt sich Kritiker der Impfstoff-Beschaffung zur Brust: „Wenn ich mal auspacke ….“. Aktualisiert: 06.01.2021; https://www.merkur.de/politik/angela-merkel-kanzlerin-cdu-coronavirus-impfstoff-beschaffung-deutschland-gipfel-spd-spahn-zr-90159759.html

*2) Kramp-Karrenbauer: Gab 2019 CDU-Debatte über Amtsverzicht Merkels; Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 12.01.2021

*3) DEUTSCHLAND JAMAIKA-AUS. Merkel unter vier Augen zu Seehofer – „Die wollen mich weghaben”. Stand: 06.03.2018; https://www.welt.de/politik/deutschland/article174232299/Angela-Merkel-zu-Horst-Seehofer-Die-wollen-mich-weghaben.html.