West-LB – Ende einer Landesbank.

An unseren so beinhart auf das Wesentlichste konzentrierten Medien und ihrer Kundschaft ging zum Jahresende 2011 ein Ereignis schnell vorbei: „Zerschlagung“ der West-LB lauteten monoton die Meldungen.

Da denke ich an John Osborne – für einen „Blick zurück im Zorn“. Aber auch ein Blick in die Zukunft lässt nicht auf Freude hoffen.

Übersicht.

I.   Anspruchsvolle Mission.

II.  Anspruch auf den Status eines Global Players.

III. Steuerzahler – Stakeholder der Landesbanken.

IV. Sequenz der Katastrophe.

V.  Frühwarnungen.

VI. West-LB und Risikoanalyse.

VII.Bewertungen zur Investitionspolitik der Landesbanken.

I. Anspruchsvolle Mission.

Der SPIEGEL blickt voraus: Dem „Kreditinstitut droht ein massiver Stellenabbau“ (20.12.2011). 4300 Mitarbeiter habe die West-LB. Zehn Jahre zuvor waren es noch mehr als doppelt so viele, wie bei Wikipedia zur West-LB nachzulesen ist. Vom Flaggschiff zur „Rest-LB“ resümiert die FAZ am gleichen Tag und schließt: „Ab Mitte 2012 wird Nordrhein-Westfalen keine eigene Landesbank mehr haben.“ Und weiter: Die Zerschlagung bzw. der „Umbau wird mit Milliarden Steuergeldern bezahlt.“

Ja, gerade auch die West-LB galt als sozialdemokratisches Flaggschiff. Sozialdemokraten hatten immer wieder die Versuche interessierter Konkurrenten und ihrer politischen Verbündeten abgewehrt, Sparkassen und Landesbanken zu „privatisieren“. Im Interesse kleiner und mittlerer Firmen und von Arbeitnehmern und ihren Familien. Diese vertrauten den öffentlich-rechtlichen Instituten als Garanten regionaler und lokaler Kundennähe, sicherer Spareinlagen und verlässlicher Beratung.

Niemals hätte ich geglaubt, jungen Menschen würde einmal empfohlen werden, bei langfristigen Anlagen ihres Ersparten zu Produkten der Deutschen Bank statt der West-LB zu greifen. Genau dies sollen verantwortungsbewusste Sparkassenberater 2009 bei Indexzertifikaten z.B. auf den DAX empfohlen haben. Bei der Deutschen Bank sei dies als „Sondervermögen“ abgesichert, bei der West-LB dagegen dem „Emittenten-Risiko“ ausgesetzt. D.h. ginge die West-LB pleite – 2009 kein unrealistisches Szenario – wäre die Anlage verloren. Denn seit 2005 ist nach Regeln der EU-Wettbewerbspolitik die „Gewährsträgerhaftung“ eingestellt, durch die Bundesländer und Kommunen als Eigentümer die Zahlungsfähigkeit der Landesbanken garantierten.

Wer kann nicht sozialdemokratische Wut verstehen? Standfest über Jahre den Privatisierungskampagnen widerstanden und nun dieses Ende – „Zerschlagung“! Kaum ein neueres Grundsatzprogramm sozialer Demokratie fand schönere Worte als die West-LB, wenn sie ihre Mission und ihre „Konzernstrategie“ als Management für „Nachhaltigkeit“ beschrieb. So wurde in den Geschäftsberichten den Politikern und Gewerkschaftlern von Verdi im Aufsichtsrat zugeflötet: Es gelte, „ökologische und soziale Risiken zu minimieren und dadurch auch ökonomische Chancen wahrzunehmen und das Wachstum der Bank sicherzustellen. Zugleich wollen wir Vorbild sein und leisten einen Beitrag zu einer wirtschaftlich stabilen, ökologisch verantwortlichen und sozial gerechten Entwicklung unserer Gesellschaft.“

II. Anspruch auf den Status eines Global Players.

Vor 180 Jahren begann die Geschichte der West-LB als mittelständisch und auch sozial orientierte „Westfälische Provinzial-Hülfskasse“, 1854 wurde das rheinländische Pendant gegründet, 1954 wird NRW Anteilseigner der westfälischen und rheinländischen Landesbanken, die 1969 zur Westdeutschen Landesbank Girozentrale fusionieren (Vgl. Handelsblatt, 21.12.2011).

Dann kam der erste Vorstandsvorsitzende, ein zu Großer, Ludwig Poullain; er machte die West-LB zum Global Player. Die West-LB stand nicht nur für ehrgeizige NRW-Industriepolitik, sondern auch für internationale strategische Ausrichtung.

Folgen wir kurz dem Rückblick der FAZ auf die Entwicklung der West-LB als Global Player.

1973: Spekulation in Fremdwährungen (Devisen) vernichtet den Gewinn eines Geschäftsjahres.

1998: Engagement im russischen Rubel- und Anleihemarkt führt zu Milliardenverlust.

1999: Nähe zur NRW-Politik bringt Beihilfen von über 800 Mio. Euro, die nach EU-Recht illegal sind, und daher auf Weisung der EU-Kommission an das Land zurück zu zahlen sind.

2002: Die Westdeutsche Landesbank Girozentrale wird im Rahmen der „Verständigung I“ (von 2001) zwischen EU-Kommission und Bundesrepublik Deutschland in NRW-Bank (Bank für Wirtschafts- und Strukturförderung des Landes NRW) und in die West-LB aufgespalten. Die öffentlich-rechtliche Säule des deutschen Bankensystems (neben den privaten und genossenschaftlichen Banken) bleibt mit EU-Genehmigung erhalten. Dafür verlangt die EU die Aufhebung der „Gewährsträgerhaftung“ gegen Insolvenz durch Länder und Gemeinden ab 2005. Damit wird das Geschäftsrisiko im Wettbewerb dem privater Banken angeglichen. Ist dadurch das Risikobewusstsein der Landesbank-Manager gewachsen?

2003: Seit Mitte der 1990er Jahre ins internationale Investment-Banking eingestiegen, sollen „großvolumige“ (s. dazu Wikipedia, West-LB) Beteiligungen an Unternehmen erworben und diese mit Krediten versorgt worden sein. 2003 wurde das Scheitern dieses Engagements offenbar. Über 400 Mio. Euro Verlust durch Insolvenz eines britischen Fernsehverleihers. Rund 2 Mrd. Euro seien für Rückstellungen zur Risikovorsorge aufgewendet worden. Der Vorstandsvorsitzende wurde wegen „Untreue“ verklagt, vier weitere Vorstände verließen die West-LB. Verdi ist hoffentlich gelungen, dass der massive Personalabbau sozial durchgeführt wurde.

2004: Wieder zu viel NRW-Politikmauschelei eines Global Players: EU verlangt Rückzahlung von 1,4 Mrd. Euro illegaler Beihilfen. Die Folge: Verlust von 1,2 Mrd. Euro.

In diesem Nebeneinander von globalstrategischem Anspruch und NRW-formatiger Aufsicht durch Politiker und Gewerkschaftler entscheidet die West-LB, sich in den USA massiv im Geschäft der Immobilienfinanzierung zu engagieren. Mit der bekannten Folge, in der Finanzkrise 2007-2009 unvorstellbare Milliarden-Verluste einzufahren.

Die West-LB als Lehrstück einer Organisation, geprägt durch Verweigern des Lernens aus Fehlern? So war es wohl; denn bei anderen Landesbanken findet sich ähnlich fataler Einfluss von Parteien und Gewerkschaften und ähnliches Scheitern. Professor Martin Faust, Frankfurt School of Finance and Management, wurde bei der West-LB zum Bankkaufmann ausgebildet. Der SPIEGEL (15.04.2011) zitiert ihn zum „Problemfall Landesbanken“: „Man hat die Landesbanken für politische Zwecke missbraucht.“

Peer Steinbrück – Hut ab – ist einer der ganz wenigen, der Verantwortung übernimmt: Das „Versäumnis, mit der Stärke von Nordrhein-Westfalen und dem (damaligen) Gewicht der West-LB nicht auf eine nachhaltige Lösung der Landesbankenszene gedrängt zu haben, hängt mir nach.“ (Peer Steinbrück, Unterm Strich, 3. Auflage, Hamburg 2010, S. 222).

III. Steuerzahler – Stakeholder der Landesbanken.

Zur Rettung auch der „Landesbankenszene“ wurde im Herbst 2008 der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung „SOFFIN“ gegründet. Um die Größenordnungen grob zu veranschaulichen: Den Löwenanteil an Garantien und Kapitalhilfen nimmt hier die Deutsche Pfandbriefbank AG (Hypo Real Estate) mit ca. 100 Mrd. Euro in Anspruch; die Landesbanken erreichen rd. ein Viertel dieser Summe. Die Kosten des SOFFIN trägt zu ca. 2/3 der Bund, 1/3 übernehmen die Länder bis zu einem „Deckel“ von maximal 7,7 Mrd. Euro.

Die Bundesländer und Sparkassen helfen außerdem ihren Landesbanken mit Garantien, Bürgschaften, Kreditlinien oder „Bad Banks“ (Zweckgesellschaften) für die Auslagerung von „Risiko-Papieren“. Auch hier finden sich in der Presse Zahlenangaben, die hier nur zur Illustration angeführt werden: Bayern-LB: 25 Mrd. Euro, HSH-Nord-LB: 33 Mrd. Euro, Sachsen-LB: 30 Mrd. Euro.

Zurück zur FAZ und zur West-LB: Das Jahr 2007 brachte 600 Mio. Euro Verlust. Die EU genehmigte eine Kapitalhilfe des Landes NRW von über 6 Mrd. Euro, um die 2002 beschlossene Aufspaltung in NRW-Bank und West-LB umzusetzen. 2008 wurden in einem ersten Schritt „Schrottpapiere“ im „Wert“ von 23 Mrd. Euro in die Bad Bank ausgelagert. Bis 2009 stieg diese Summe auf 77 Mrd. Euro. Die EU genehmigte 3 Mrd. Kapitalhilfe an die West-LB. Und 2010 gab es wieder Streit um Milliarden nach EU-Richtlinien illegaler Beihilfen des Landes NRW. Der dauerte bis zum unrühmlichen Ende.

Schwer zu sagen, wie hoch die Verluste der Landesbanken den deutschen Steuerzahler treffen werden – 10, 15, 20, 25 Mrd. Euro? Professor Martin Faust (a.a.O.) hatte sie als „horrend“ bezeichnet. Nicht alle Garantien und Bürgschaften enden im Schadensfall. Wenn schon nicht die Höhe der Verluste „genau“ bekannt ist, eines steht fest: „Die Verluste sind bereits sozialisiert, sie gehören dem deutschen Steuerzahler,“ konstatiert Frau Professor Weder di Mauro, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Handelsblatt, 22.09. 2010).

Und die Sachverständige räumt mit einer Legende auf, hinter der sich außer Peer Steinbrück allzu viele Verantwortliche verstecken: Alles Schuld von US-Präsident George W. Bush, weil er die Investmentbank Lehman Brothers Inc. nicht retten wollte. „Ich bin immer wieder überrascht, dass man von den Entwicklungen bei den Landesbanken überrascht wird. Die Landesbanken waren eindeutig vor Lehman schon ein Problem.“ Dieses Urteil steht für sich!

IV. Sequenz der Katastrophe.

Wie konnten Landesbanken, wie konnte die West-LB, ihrem eingangs zitierten Mission Statement zufolge Garant finanzwirtschaftlicher Stabilität und sozial-ökologischer Gerechtigkeit, in einem USA-endemischen Risikosumpf versinken?

Im Rückblick stellt sich die Sequenz der Katastrophe etwa so dar.

1. Schon seit Mitte der 1990er Jahre, Bill Clinton war Präsident der USA, wurde der Erwerb von Wohneigentum für Bezieher mittlerer und niedriger Einkommen gefördert. Im Rahmen dieses sozialpolitischen Ziels wurden offenbar Vorschriften gelockert, nach denen staatlich regulierte Hypothekenbanken die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden zu beurteilen hatten. Die den Markt bestimmenden Hypothekenbanken, die staatlich geförderten „Fannie Mae“ und „Freddie Mac“, setzten die Wohnungspolitik des Staates am Markt durch. Sie hatten auch hinreichend politisches Personal an Bord. Jede Hypothekenbank, die einen solideren Kurs in der Kreditvergabe gesteuert hätte, wäre aus dem Geschäft geflogen.

2. Nach der Krise der Informationstechnologie im Jahr 2000 und den Anschlägen des 11. September 2001 senkte das US-Zentralbanksystem (Federal Reserve System; System heißt es, weil private und staatliche Banken zusammenwirken) das Zinsniveau drastisch, von 6 % auf 1,3 %. Zudem können in den USA Zinskosten für selbstgenutztes Wohneigentum direkt von der Einkommensteuer abgezogen werden. „Amerika, Du hast es besser“, wusste Goethe schon.

3. Dies befeuerte die Nachfrage nach Immobilien in den USA. Zwischen Januar/1996 und Januar/2006 verdoppelte sich der Durchschnittspreis eines Hauses (s. http://investmenttools.com/median…). Zunächst beschleunigte sich der Preisanstieg, ab 2005 gingen die Zuwachsraten deutlich zurück, 2007 begann der Preisverfall für Hauspreise. Im Vertrauen auf stark steigende Immobilienpreise hatten die Hypothekenbanken die Bonitätskontrolle ihrer Kreditkunden vernachlässigt. Nach Medienberichten sollen selbst Arbeitslose ohne Sicherheiten Wohnungsbaukredite erhalten haben. Aus Sicht der Banken war dies nicht irrational; denn bei steigenden Preisen konnten sie an der Übernahme des Hauses gut verdienen, wenn der Schuldner seinen Kredit nicht bediente.

4. Um für das boomende Kreditgeschäft weiteres Kapital zu beschaffen, setzten die US-Banken das Instrument der „Verbriefung“ (securitization) ein. Die Forderungen der Banken gegen die Schuldner der Kredite für den Kauf von Immobilien wurden in verzinsliche „Wertpapiere“ gewandelt, also „verbrieft“. Und weltweit an Anleger, z.B. an die West-LB, als „Immobilienderivate“ in geeigneter Stückelung mit hohen Gebühren profitabel weiterverkauft. Die Investoren erhielten Ansprüche auf die Kreditsicherheiten (Wert der Immobilien), auf Kreditrückzahlung und -verzinsung. Aber sie trugen auch das Risiko des Ausfalls der Kredite und des Wertverfalls der beliehenen Immobilien. Im „guten“ Glauben, gestützt auf positive Bewertungen durch Rating-Agenturen, dass bei diesen „Collateralized Debt Obligations (CDO)“ oder „Mortgage-backed Securities (MBS)“ oder „Asset-backed Securities (ABS)“ zwar einige Kredite faul oder „toxisch“ sein könnten, aber nicht allzu viele. Grundsätzlich erscheint das Vorgehen sinnvoll: Aus Hypotheken werden handelbare Wertpapiere und diese weltweit an solvente Anleger verkauft. Dies sollte theoretisch die Stabilität der Finanzmärkte stärken. Den Umfang dieses Verbriefung-Geschäfts illustriert eine Notiz vom 06.12. 2005: fast 8 Billionen Dollar („… the $ 7.6 trillion mortgage market“; http://investmenttools.com/median).

5. Der Zusammenbruch warf zunächst wenig bemerkte Schatten voraus. Die Zinspolitik der „Fed“ kehrte sich um. Der Zins für z.B. 4-Wochen Bankkredite verdeutlicht die Entwicklung bis ins Desaster: 2004: 0,9 %; 2005: 2,6 %; 2006: 4,7 %; 2007: 4,8 %; 2008: 1,9 %; 2009: 0,13 % (vgl. interest rate statistics, treasury.gov).

Im Nachhinein kann die Chronik der den Crash ankündigenden Vorzeichen fesseln (s. investmenttools.com/Auswahl u.Übers. RS):

02.06.2005: „Das Playmate des Monats, Jamie Westenhiser, sagt, sie wolle ihre viel versprechende Karriere als Model aufgeben, um sich ´Investitionen in Immobilien zu widmen`“.

26.09.2005: „´Obwohl der hoch fliegende Immobilienmarkt Risiken birgt, insbesondere für Haushalte in finanziell angespannter Lage, sind die meisten Hauseigentümer in recht guter Position, um einen Schock zu überstehen, wenn die Preise fallen`, sagte der Federal Reserve Chairman Alan Greenspan am Montag.“

28.09.2005: „´Kaliforniens Häusermarkt ist um bis zu 45 % überbewertet und steht vor der ´Kippe`, die den glühend heiß gelaufenen Zyklus des Wachstums beenden wird`, prognostizierte UCLA Anderson Forecast am Mittwoch.“

06.12.2005: „Die Immobilienpreisblase platzt im Markt für US-Hypotheken-Pfandbriefe“ („Housing Bubble Bursts“).

V. Frühwarnungen.

Die hat es natürlich gegeben. Der amerikanische Professor für Ökonomie Roubini trat hervor. Bei der schweizerischen UBS-Bank sollen Einzelne, die warnten, sogar entlassen worden sein. Eine Reihe von Schlechtwetter-Propheten verkündete immer wieder und lautstark den kommenden „Crash“. Noch lauter wurde es, als der Regen dann wirklich kam.

Im folgenden werden wissenschaftliche Argumente kurz referiert, die in der breiten Öffentlichkeit und den Medien weniger beachtet wurden. Hinter diesen Analysen stehen andere intellektuelle Kaliber als „viele schlaue Rathausbesucher“, die Peer Steinbrück zu Recht ironisch kommentiert (a.a.O., S.176).

Diese Argumente finden sich bei Thomas F. Helbling (Housing price bubbles, BIS Papers, No. 21, 2005, S. 30-41) und Jean-Claude Trichet (MAS Lecture, Monetary Authority of Singapore, 8. Juni 2005). Dass EZB-Präsident Trichet für seine Mahnungen einen Ort außerhalb der Euro-Zone wählte, ist als diplomatische Meisterleistung zu würdigen. Die Analyse Helblings und Trichets sei in vier Punkten zusammengefasst:

1. Preissteigerungen ermutigen zu spekulativen kreditfinanzierten Investitionen, vor allem in Realvermögen wie Immobilien. Die Investoren rechnen, dass sich der Realwert ihrer Schulden verringert, nicht aber der ihrer Investitionen. Dieses Kalkül treibt die Preisblasen an den Immobilienmärkten (oder am Goldmarkt etc.).

2. Forschungsergebnisse zu diesen fatalen Erwartungen, die seit 2002 von IWF und BIZ vorgelegt wurden, lassen sich in folgendem historischen Befund zusammenfassen: Nach Boom-Perioden folgte ein Preisverfall auf Immobilienmärkten in 40 % der Fälle; nach Aktienhaussen trat dagegen ein Kursverfall nur in 25 % der Fälle ein.

3. Dem typischen Preissturz („bust“) bei Immobilien sei ein Einbruch der realen Wirtschaftsleistung (reales Bruttoinlandsprodukt, BIP) um 8 % gefolgt, während ein im Durchschnitt der Fälle beobachteter Kurssturz bei Aktien das BIP „nur“ um etwa 4 % reduziert habe. Die Ursache dafür liege in der höheren Abhängigkeit des Bankensystems vom Hypothekarkredit gegenüber der Beleihung von Aktienerwerb.

4. Daraus folge die Mahnung an verantwortliche Politiker und Marktteilnehmer, sich der Risiken von „boom und bust“-Ereignissen auf Immobilienmärkten bewusst zu sein. Helbling fordert, „Hauspreise sollten überwacht werden, um makroökonomische Bedingungen, Perspektiven und finanzielle Verwundbarkeiten zu beurteilen.“ (BIS, a.a.O., S. 37; Übers. RS)

VI. West-LB und Risikoanalyse.

Im Sommer 2007 waren die Zweifel am Wert der auf Hypotheken basierten Wertpapiere so stark gewachsen, dass die Rating-Agenturen sie herab stuften. Die Inhaber dieser nun als „Schrott“ qualifizierten „Wertpapiere“ mussten Verlust bringende Wertberichtigungen vornehmen.

Eindrucksvoll zeigt sich das spekulative Geschehen beim Nachfrageboom nach den Immobilienderivaten (s.o. CDO, MBS, ABS) im Anstieg der Nachfrage nach Kreditausfall-Versicherungen (sog. credit default swaps, CDS). Noch vor dem Zusammenbruch der Lehman-Investmentbank schreibt Roger Altman am 14. Mai 2008: „Aber als sich die Kreditmanie ausbreitete, waren aus den Versicherungsansprüchen auf Grundlage der CDS-Sicherung von $ 5000 Milliarden, die Mitte 2005 bestanden, zwei Jahre später $ 50 000 Milliarden geworden“ (www.ft.com/…; Übers. RS.).

Altman, unter Präsident Clinton Vizeminister für Finanzen, beschreibt den Verfall des Zusammenhanges zwischen Bonität der Schuldner und dem Kreditzins: Vor der „Kreditmanie“ habe der Zins auf Anleihen minderer Qualität („subprime“) 5 Prozentpunkte über dem Zinssatz für US-Staatsanleihen gelegen. Auf dem Gipfel der sozialpolitisch gewollten Kreditexpansion für Wohnungsbau sei diese Differenz auf etwa 2,5 Prozentpunkte geschrumpft. Kredite wurden, so kritisiert Altman, „an die schwächsten Schuldner zu Zinssätzen vergeben, die nur etwas höher waren als die für den besten Kreditschuldner der Welt.“ Die Explosion der CDS-Nachfrage nach Versicherung gegen Kreditausfall war also Indiz für verbreitete Erwartung massiver Insolvenz finanziell überforderter Schuldner und des Zusammenbruchs der Immobilienpreise.

Beschränken wir uns auf das Fazit von Peer Steinbrück (a.a.O., S.222): Er muss als Folge der ihm bewussten Reformversäumnisse feststellen, die „Landesbanken sollten mit ihrem aufgehäuften Klumpenrisiko im Verbriefungsgeschaft zum größten Systemrisiko des deutschen Bankensektors in der Finanzkrise werden.“

Was könnte Peer Steinbrück mit „aufgehäuftem Klumpenrisiko“ gemeint haben? Außer dass dies großer Mist war? Dies lässt sich leichter verstehen, wenn gefragt wird: Was müsste ein vorsichtig risikobewusster Privat-Anleger abwägen, würde er – wie die West-LB – in US-Anleihen mit Hypothekenbasis investieren?

Erstens, würde er das Währungs- bzw. Wechselkursrisiko, ein Sinken des in Euro ausgedrückten Dollarwertes, einkalkulieren. Etwa durch die Überlegung, ob die Zinsen im Euroraum stärker anziehen könnten als in den USA, weil wir strenger mit Inflation umgehen.

Zweitens, müsste er das Marktrisiko am US-Immobilienmarkt abschätzen auf Indizien für ein Platzen der „Immobilienblase“. Auch konjunkturelle Entwicklungen wären zu beurteilen.

Drittens, müsste er die Qualität der Hypothekenbasis bewerten. Das heißt, mit welcher Sorgfalt die staatlich regulierten Hypothekenbanken die Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner überprüfen. Die Sorgfalt der Bonitätsanalyse bestimmt das Urteil über den Wert der Hypotheken, der Basis der Immobilienderivate.

Viertens, müsste er die Werthaltigkeit der Immobilienderivate beurteilen. Es ist also zu prüfen, wie die zum Kauf angebotenen Immobilienderivate zusammengesetzt sind. Vor allem die Investmentbanken und Zweckgesellschaften nutzen ihre regulatorischen Freiräume. Die werden ihnen vom Staat zugestanden, weil bei ihnen Kundeneinlagen und Zahlungsverkehr nicht in großem Ausmaß anfallen. Diese so genannten „Schattenbanken“ gestalten den größeren Spielraum gegenüber regulierten Banken vor allem bei der Laufzeit/Fristigkeit. Ferner bei der Risikostruktur der von ihnen ausgegebenen „Commercial Papers (CP)“. Damit kommen sie Investoren entgegen, die langfristige Bindung scheuen, hohe Erträge bevorzugen und dafür kurzfristig wohl auch Ausfall-Risiken hinnehmen. Diese Ausfallrisiken wurden aber durch geschickte Methoden der Mischung bzw. „Tranchierung“ verschleiert. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schreibt in seinem Gutachten dazu: „Aus Landwein wird Qualitätswein“ (Jahresgutachten 2007, S. 112 f., Ziff. 156). Die selbst durch Fehlinvestition getroffene Commerzbank stellt fest: „Manche dieser forderungsbesicherten Papiere (Asset Backed Securities) enthielten nur Subprime-Kredite, also Kredite mit hohem Ausfallrisiko.“ (s. geldverstaendlich.de/finanzkrise/ S.2).

Dies mag genügen, um die Kumulierung von Risiken bzw. das von Peer Steinbrück angesprochene „Klumpenrisiko“ zu erläutern, dem sich Landesbanken bei ihrem USA-Engagement aussetzten. Möge sich unser risikobewusster Modell-Anleger gedanklich die Investitionspolitik der West-LB in den USA zu eigen machen. Im Nachhinein und mit Blick auf die vorangegangene Darstellung der USA-Risikofaktoren würde er sicher an den Ritt über den Bodensee denken.

VII. Bewertungen zur Investitionspolitik der Landesbanken.

Der Sachverständigenrat (SVR) verteilte im Juni 2008 die „Verantwortlichkeiten für die Finanzkrise“ sehr breit: Geld- und Wirtschaftspolitik der USA, Finanzmarktaufsicht, Rating-Agenturen, international zersplitterte Bankenaufsicht, Bankmanager, Vergütungssysteme, Aufsichtsräte.“

Das könnte zu Missverständnissen führen: Was, so mag der Steuerzahler fragen, ist denn mit den bedeutenden Einrichtungen, die sich für professionelle Beobachtung der US-Politik zuständig fühlen und dafür auch gut honoriert werden? Da könnte auch der SVR selbst auf der breiten Anklagebank gesehen werden.

Diese Betrachtungsweise, so nahe sie liegen mag, ist hier abzulehnen. Statt dessen ist die spezifische unternehmerische Zuständigkeit und Verantwortung zu benennen. Deshalb fällt Peer Steinbrück zu Recht ein sehr hartes Urteil: „Insbesondere deutsche Landesbanken engagierten sich mit Begeisterung im Verbriefungsgeschäft … Landesbanken und Länder (versäumten) eine Konsolidierung ihres Sektors. Statt dessen pumpten sie sich mit billiger Liquidität voll und investierten diese in hochkomplexe Produkte, von denen sie eigentlich keine Ahnung hatten.“ (a.a.O., S. 174). Und Steinbrück diagnostiziert: „Die Landesregierungen und Verwaltungsräte unterlagen … in manchen Fällen einem aberwitzigen Größenwahn, indem sie sich an international aufgestellten privaten Geschäftsbanken orientierten.“ (a.a.O., S. 222).

Im Jahr 2008 stellten die Professoren Harald Hau und Marcel Thum die Frage „Wie (in-)kompetent sind die Aufsichtsräte deutscher Banken?“ (ifo Schnelldienst 61 (19), 2008, S. 27-29). Sie entwickelten Kompetenz-Indizes und verglichen damit die Aufsichtsräte privater und öffentlich-rechtlicher Banken. Überschlägig lässt sich aus ihren grafisch zusammengefassten Ergebnissen ableiten: Die Aufsichtsräte öffentlich-rechtlicher Banken liegen hinsichtlich der Indizes für das Maß ihrer Kompetenz durchweg unter denen privater Banken. Bei der „Ausbildung“ um 50 %; bei der „Berufserfahrung am Finanzmarkt“ um 75 %; bei der „Managementerfahrung“ um 48 % und im Gesamturteil der „Kompetenz“ ergibt sich ein Rückstand von 63 % der Aufsichtsräte in öffentlich-rechtlichen Banken gegenüber denen in privaten.

Zu alldem scheint ein Erlebnis zu passen, dass Rudolf Böhmler, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, in einem Vortrag am 19. März 2009 zum Besten gab: „Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, mit dem ich vor einiger Zeit bei einem Essen auf der Insel Mainau saß (Wohl bekomm´s, nachträglich, RS), erklärte mir mit erkennbarer Schadenfreude: ´Die Amerikaner können froh sein, dass die Europäer und insbesondere die Deutschen dumm genug waren, unsere faulen Hypothekengeschäfte aufzukaufen.`“ (Deutsche Bundesbk., Ausz. Presse., Nr.13, 25.03.2009, S.7). Dem lässt sich nur noch ein unter Händlern von Immobilienderivaten geflügeltes Wort hinzufügen: „If you can`t sell it, sell it to the Landesbank!“

West-LB – Blick zurück im Zorn! Jedoch nunmehr Blick nach vorn: Es gibt noch sozialliberal denkende Bürger, die am Finanzmarkt die privaten, öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Banken konkurrieren sehen wollen, damit Vielfalt im Leistungswettbewerb gesichert ist. Wir wünschen dennoch keine öffentlich-rechtlichen Banken, insbesondere keine Landesbanken wie die West-LB, deren Unternehmensziele hochtrabend tönen als Strategie für Nachhaltigkeit, für Wachstum und Finanzstabilität, für ökologisch-soziale Verantwortlichkeit mit kulturellem Engagement u.ä.m.. Und deren Management, deren Unternehmenspolitik und deren Aufsichtsgremien Anspruch und Wirklichkeit nicht zusammen bringen! Reform oder Rückzug!