Zypern: wem noch trauen?

Kurz vor Ostern denken die Bürger an ein wenig Erholung vom Start ins neue Arbeitsjahr. Das ist gewöhnlich Flaute-Zeit für die Presse. Den Medien kommt die Zypern-Krise gerade recht.

Krisen sind bekanntlich Sache der Exekutive, der verantwortlichen Regierungschefs und Finanzminister der Eurozone. Nicht zu vergessen die für Sicherung der Geldwertstabilität auf stabile und funktionsfähige Finanzmärkte angewiesene Europäische Zentralbank (EZB).

Die Verantwortlichen verhandeln mit den Vertretern der Republik Zypern nach dem Muster: Hilfe gegen Eigenleistung. Knapp 6 Mrd. Euro soll eine einmalige Abgabe auf die Einlagen bei zypriotischen Banken bringen, um EU-Hilfe zu ergänzen. Die Anleger der Einlagen bei den Banken werden deshalb herangezogen, weil weder beim Staat Zypern noch bei den Eigentümern der Pleitebanken viel zu holen sei.

Bürger, die nicht den Nerv und die Neugier besitzen, dies erneute Desaster zu besichtigen, sollten Ostereier bemalen. Und beim Medienkonsum alles ignorieren, was mit „Zy“ beginnt, außer Zynismus. Denn wichtige Zeitungen – z.B. Süddeutsche, Guardian, Welt, Bild – treiben Panikmache nach Drehbuch. Tatarenmeldungen im Minutentakt: „07.27 Uhr: Zypernkrise … 07.55 Uhr: Luxemburgs Finanzminister warnt vor Pleite … usw. bis 17.02 Uhr: Schäuble warnt vor Bankrott“ (welt.de, 22.03.2013). In dem Stil geht es weiter bis in die Puppen, aber nach 17.00 Uhr ist beim Bürger Feierabend!

Ökonomisch Interessierte könnten einen anderen Ansatz verfolgen. Hier am Rhein z.B. erst mal spazieren gehen. Dort ist ein in fünf Jahren Krise bewährtes Konjunkturbarometer zu beobachten. Das kann Zuversicht stärken, wenn uns die Medien erschrecken. So sei der IFO-Geschäftsklima-Index – nun gerade auch noch zur Zypernkrise – überraschend gesunken. Da werden bekanntlich 7000 Geschäftsleute befragt. Ja, sollen die denn jubeln, wenn es schon wieder Ärger gibt mit Hellenen? (Fast alle der rd. 800 Tsd. Einwohner der Republik Zypern werden als Griechen bezeichnet).

Was sagt der Rheintal-Geschäftsklima-Index? Das bisher bewährte Kriterium, 1x-Hingucken, lautet: Mindestens drei Frachtschiffe und ein Güterzug. Dann hau all die Hiobsbotschaften sogenannter Wirtschaftsweiser in die Tonne. Denn dann arbeiten die Logistiker, ordern und transportieren Halb- und Fertigfabrikate, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für Unternehmen und ihre Kunden. In letzter Zeit stampften drei bis fünf Frachter, rollten zwei bis sechs Güterzüge. Also lässt dieser Rheinanlieger den IFO-Index ein wenig wackeln, bevor er selber nervös wird.

Damit sind wir schon bei dem renommierten IFO-Präsidenten Professor Sinn. Bei ihm muss man einen emotionalen Faktor berücksichtigen. Ein wenig Spaß am Zocken. Verständlich, weil Datenanalyse ein ungeheuer mühsames Geschäft ist. Er hält bekanntlich Wetten, dass Hellas aus dem Euro geht („Wetten dass“-Blog, 07.10.2012).

Professor Sinn scheint uns Sorge vor der Zypernkrise nehmen zu wollen. Er urteilt: „Die Systemrelevanz Zyperns beschränkt sich auf die russische Schwarzgeldwäscherei … Die Politik sollte sich nicht bange machen lassen von den Finanzmärkten und Banken, die den Weltuntergang prophezeien, wenn die Steuerzahler ihr Portemonnaie nicht zücken.“ Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein. „´Zypern ist solch ein kleines Land; egal, was dort passiert, es wird die übrige Euro-Zone nicht beeinträchtigen`, sagte Wirtschaftsprofessor Paul de Grauwe von der europäischen Denkfabrik Centre for European Studies (CEPS) … Selbst ein Zusammenbruch der Banken dort wäre kein systemisches Risiko.“ *1)

Gewiss, die Republik Zypern ist ein kleines Land. Dennoch, die dortigen Banken verwalten „Guthaben in Höhe von rund 70 Milliarden Euro. Aber nur etwa 43 Milliarden davon gehören den Inselbewohnern.“ *2) Was immer „gehören den Inselbewohnern“ bedeuten mag, da „schlummern“ 70 Mrd. Euro. Und wenn die sich in Bewegung setzen, weil das Vertrauen in die Banken zusammenbricht … Also, die Beruhigungspille der Professoren Sinn und de Grauwe zur „Systemrelevanz Zyperns“ wird besser nicht eingenommen.

Nach diesem kurzen Blick auf Vertreter der Wissenschaft, nun zu den Europapolitikern, einigen Vertretern des Europäischen Parlaments. Hören wir zunächst zwei MdEPs der FDP.

Der große Name Alexander Graf Lambsdorff teilt zur Krisenverhandlung der Euroländer über Zypern mit: „dilettantisch“, „fahrlässig“, Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem solle „Platz machen für einen Profi“. Zielführender Beitrag dieses Profis.

Dann haben wir den Präsidenten der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung, den zertifizierten Doktor-Plagiator und Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis, FDP. „Mit Neoimperialismus kommen wir in Europa nicht weiter“ *3), beschimpft er die kooperationsbereiten Euro-Partner Zyperns und die fact-finding Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB).

Aber dann merkt man doch – Doktor hin, Doktor her – dass Herr Chatzimarkakis einige Urteilskraft besitzt. Und seine Stellungnahme sollte zur Kenntnis genommen werden: Die Republik Zypern „ist nämlich kein Failed-State, sondern war eine boomende Volkswirtschaft mit einer hart arbeitenden, qualifizierten und pro-europäischen Bevölkerung … Wenn man sie nur ließe, dann würden sich die Zyprioten am eigenen Schopf aus der schwierigen Lage befreien können … Jetzt sollte die EU den Plan B der Zyprioten wohlwollend prüfen, der zurzeit debattiert wird und nicht von vorn herein ablehnen.“ Solche Einstellung kann EU-Bürger positiv beeindrucken, weil der Verhandlungscharakter des Problems – ein Geben und Nehmen – respektiert wird.

Was sagen uns sozialdemokratische Europaabgeordnete zur Zypernkrise?

Beginnen wir mit Hannes Swoboda, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. *4) Im Gespräch mit Herrn Tobias Armbrüster vom Deutschlandfunk meint Herr Swoboda zur EU, dass „diese Union derzeit in einem äußerst katastrophalen Zustand“ sei. Ferner meint er, in der EU werde von den Finanzministern „stümperhaft an diese Sache herangegangen“.

Da versucht Herr Armbrüster es fachlich: „Aber beschuldigen Sie da nicht die falschen? Schließlich kam der Vorschlag, alle Sparer .. in Zypern zu belasten, ja nicht von den Euro-Finanzministern, sondern der kam aus Nikosia?“ Das interessiert Herrn Swoboda nicht wirklich: „Die Finanzminister müssen doch das Gefühl haben, wie derzeit die Stimmung in Europa ist, wie die Demonstranten von Sofia bis Portugal auf die Straße gehen … Das ist das Ende von Europa … Aber es fehlt diese Gemeinsamkeit in Europa, die notwendig ist, um wirklich ein Europa aufzubauen. Sonst müssen wir dieses Projekt aufgeben.“ Mit andern Worten, Herr Schäuble verantwortet zypriotische Innenpolitik!

Herr Swoboda verlangt von den EU-Finanzministern, dass sie der Regierung Zyperns hätten „klar sagen müssen, was aus europäischer Perspektive und aus der Perspektive der Bürgerinnen und Bürger in Frage kommt. Dann wären nämlich wir in Europa auf der Seite der Bürger gestanden. Und so hat das Anastasiades und die Politiker in Zypern drehen können, dass Europa eigentlich Schuld ist am Schlamassel. Genau durch diese Politik, die wir betrieben haben, haben wir es geschafft, dass Europa Schuld ist und nicht die zypriotischen Politiker Schuld sind.“ Von levantinischer Durchtriebenheit versteht Herr Swoboda offenbar einiges. Uns kann die Schuldfrage kalt lassen, wenn die Republik Zypern nur endlich das Notwendige tut! Schieben unsere Politiker etwa nicht unpopuläre Entscheidungen gern auf „Brüssel“?

Und dann kommt der „vernünftige Plan“ von Herrn Swoboda zur Lösung der Bankenpleite in Zypern. Der Swoboda-Plan läuft auf folgendes hinaus: „dass man auf die zukünftigen Einnahmen aus den Gas- und Ölfunden zurückgreifen kann, dass es eine generelle Vermögenssteuer gibt ab einer gewissen Freigrenze, sowohl für Bankguthaben als auch für andere Vermögen, die es ja auch in Zypern gibt. Da sind also Möglichkeiten drin, wenn man das ein bisschen auf eine längere Frist streckt.“

Das, Herr Swoboda, ist überhaupt keine Lösung der akuten Zypern-Krise. Das ist Verschieben einer Lösung in die ferne Zukunft. Was dagegen soll jetzt geschehen, gegenüber sofortigem Handlungsbedarf? Zwischenfinanzierung durch die Steuerzahler der Euro-Länder, die noch zahlungsfähig und zahlungswillig sind? In der Hoffnung auf Rückzahlung in fernster Zukunft?

Dazu, zu Ihrem Plan, Herr Swoboda, könnten Sie zu Recht sagen: „Das ist das Ende von Europa“, das ist es, „was die Leute auf die Palme bringt“ *4)

Hören wir nun auf den sozialdemokratischen Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP), Herrn Martin Schulz. Mit Respekt nimmt der Bürger die Kritik am Zypernpaket durch Martin Schulz zur Kenntnis.

Die Beteiligung der Einleger bei den Banken Zyperns sei richtig, gerade „angesichts riesiger Bankeinlagen ungeklärter Herkunft“. *5) Jedoch könnten die Kleinsparer nicht für zypriotische Misswirtschaft und korrupte Kooperation mit ausländischen Geldwäschern verantwortlich gemacht werden. Deshalb – so Martin Schulz – müsse die Lösung „sozialverträglich sein. Da muss nachgebessert werden, etwa über einen Freibetrag von 25.000 Euro.“ Dies klingt vernünftig, solange die Banken Zyperns eisern durch die EZB kontrolliert werden, damit nicht die große Stückelung der Einlagen oder Kapitalflucht einsetzt.

Aus der „Bundes-SPD“ hört man hingegen weniger Nachvollziehbares. Da schließt sich der Kreis zur Panikmache in den eingangs erwähnten Medien. *6)

„Das Zypern-Desaster trägt Merkels Handschrift … Angela Merkel hat zugelassen, dass ein Land mit nur wenig mehr Einwohnern als dem Saarland die ganze Euro-Zone ins Chaos stürzt … (und) das Versprechen, dass sie 2008 gemeinsam mit Peer Steinbrück den deutschen Kleinsparern gegeben hat, für die Kleinsparer in ganz Europa verraten“ – heizt uns der SPD-Vorsitzende Gabriel ein.

Dieser unvertretbar brutale Umgang Gabriels angesichts sehr großer Verunsicherung auch der deutschen Bankkunden und Sparer kann der Sozialdemokratie großen Schaden und Ansehensverlust zufügen. Würden wir solche Wahlkampfhetze – Bundeskanzlerin Merkel verrät die Kleinsparer in ganz Europa – auch nur halbwegs ernst nehmen, müssten wir sofort zur Bank und weg mit dem Ersparten.

Unsere Ersparnisse werden aber durchaus nicht von Frau Merkel bedroht, sondern vielmehr vom Vorhaben Sigmar Gabriels, u.a. die Kapitalertragsteuer von einem Viertel auf ein Drittel hochzuschrauben. Damit würden Bankeinlagen endgültig zum Verlustgeschäft, die Sparer „auf Dauer die Deppen sein“.*7)

Wem nun kann der Bürger im von Sigmar Gabriel ausgerufenen „Chaos“ der Euro-Zone überhaupt noch trauen?

Es bleibt uns bei solcher politischen Alternative wohl nichts übrig, als der krisenpolitischen Erfahrung, Kompetenz und dem europäischen Einfluss von Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble zu vertrauen. Sowie dem Sachverstand und der krisenpolitischen Handlungsfähigkeit von Mario Draghi, Präsident der EZB, und seinen Kollegen.

Der nächste Krisentermin steht schon bevor. Montag, 25. März 2013. Dann endet das EZB-Ultimatum an die Regierung der Republik Zypern, einen Rettungsplan für die dortigen Banken zu präsentieren.

Bis dahin mag eine Stimme ökonomischer Vernunft helfen. Der Forschungsdirektor für „International Economics“, Professor Christian Dreger, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), stellt zum Ansatz der Eurogruppe für die Zypernhilfe fest*8): „Da von den Eigentümern der Banken wegen der stark eingebrochenen Börsenkurse kaum noch ein nennenswerter Eigenbeitrag zu erwarten sein dürfte, führt kein Weg daran vorbei, die Sparer des Landes in Haftung zu nehmen … Dabei sollte aber eine stärkere Staffelung der Steuersätze erfolgen, um Sparer von der Abgabe zu befreien, wenn ihre Einlagen eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.“ Ähnlich hatte auch EZB-Direktor Jörg Asmussen argumentiert – ein Sozialdemokrat, darf man hoffnungsvoll feststellen (focus.de, 18.03.2013).

Professor Dreger erklärt uns auch das hart erscheinende EZB-Ultimatum. Nur solventen Banken dürften im Rahmen der EZB-Statuten „Notkredite“ von der EZB gewährt werden.

Hoffen wir, dass es den Verantwortlichen der Eurogruppe und der EZB gelingt, das akute Bankenproblem Zyperns zu beherrschen. Und mittelfristig wirksame Reformschritte zur Erneuerung des dortigen Finanzsektors zu vereinbaren, durch die Troika zu überwachen und zu verwirklichen.

Hoffen wir weiter auf Mäßigung in der Tonart der SPD-Führung. Damit die massiv verunsicherten Bürger nicht erneut zu unsinnigen und höchst riskanten Transaktionen verleitet werden: Flucht in Gold oder andere bereits überteuerte Sachwerte oder Finanzanlagen bei Instituten, deren Haie schon kreisen. Oder gar ihr Geld außerhalb von Banken oder in fremden Währungen zu bunkern.

Wir Sozialdemokraten empfinden ja immer Achtung, wenn das Ziel der Gerechtigkeit verfolgt wird. Aber vergessen wir Ephraim Kishon *9) nicht: „Wie die Gerechtigkeit aussieht, wenn sie von ihren Verfolgern dann endlich gefangen wird, ist allerdings eine andere Frage; besonders wenn die Jagd nach Gerechtigkeit an einem so unpassenden Ort vor sich geht wie in .. “ … Zypern, zum Beispiel?

*1) DTS-Meldung vom 20.01.2013, Zypern: Führende Ökonomen kritisieren Pläne für Hilfspaket.
*2) Süddeutsche.de; Zypern zittert …; 22.03.2013.
*3) DTS-Meldung vom 22.03.2013, FDP-Europapolitiker äußert scharfe Kritik am EU-Krisenmanagement in Zypern.
*4) dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf, 21.03.2013.
*5) www.tagesschau.de/wirtschaft/zypern; 21.03.2013.
*6) spd.de, Zypern-Krise – Schwarz-Gelb in der Verantwortung, 20. März 2013 – Mauricio Andreas Cavaliere, „Ein eklatanter politischer Fehler“.
*7) Peer Steinbrück, Unterm Strich, 3. Auflage 2010, S. 134.
*8) DTS-Meldung vom 21.03.2013, Wirtschaftsforscher plädiert für Sparerbeteiligung bei Zypern-Rettung.
*9) Ephraim Kishon, Gerechtigkeit für Dr. Partzuf in: Drehn Sie sich um, Frau Lot; München o.J., S. 168. (Lizenzausgabe).